Der gelbe, 1888 errichtete Anbau der Riepenburger Mühle fällt beinahe genau so auf wie die großen Flügel der Mühle selbst. Wo früher eine Dampfmühle die Industrialisierung des alten Handwerks einläutete, befindet sich heute ein ganz besonderer Ort in Hamburg-Kirchwerder.

Im Mühlenladen & Café scheint die Zeit stillzustehen. Es duftet nach frisch gebackenem Kuchen, köstlichen Pralinen, erlesenen Tee- und Gewürzsorten. Im Erdgeschoss befindet sich der Mühlenladen wo es so manche Spezialität oder Geschenkidee zu finden gibt. Über eine Treppe geht es nach oben ins eigentliche Café. Fast könnte man meinen man befinde sich in einem Museum.

Gudrun Cronauer und ihr Sohn Andreas Gruß haben alles liebevoll mit Antiquitäten eingerichtet – fast wie bei Oma! Die Blicke wandern zu einem beleuchteten Puppenhaus, alten Bildern mit regionalen Motiven, Spitzendecken liegen auf den Tischen. Doch es ist kein Museum nur zum angucken! Das historische Porzellangeschirr wird hier genau so benutzt wie der Steinway-Flügel, der bei so manchem Konzert in diesem fantastischen Ambiente erklingt.

Ein besonderer Ort

Es ist wahrlich ein besonderer Ort, doch die Menschen tun es ihm gleich. Gudrun Cronauer ist kein unbeschriebenes Blatt. Ihr Vater betrieb von 1958 bis 1962 das Tanzlokal „Waldwiese“ in Kiel und von 1962 bis 1965 den „Star Club“. Auch das „Hotel Alter Waisenhof“ gehörte zur Familie und mit der „Waldwiese“ der größte Tanzpalast Schleswig-Holsteins. Der Kontakt zu Rock-`n`-Roll Stars wie Gene Vincent und Jerry Lee Lewis war für die junge Gudrun etwas wunderbares und beinahe alltägliches. So brauchen wir uns auch nicht mehr wundern, wenn sie heute nicht nur leckeren Kuchen backt, sondern nebenbei auch noch die verschiedensten, hochkarätigen Lesungen und Konzerte im Mühlenladen & Café organisiert.

Zusammen mit Ihrem Sohn, einem professionellen Werbefotografen, verbindet sie die Leidenschaft zum Backen und Kochen. Auf über 30 Quadratmetern ist in den vergangenen Jahren eine richtige Profiküche entstanden. Kühl- und Gefriergeräte, Gasherd, Heißluftofen und Bräter sind zwar aus einer modernen Gastronomieküche nicht wegzudenken, aber das Herz der Küche ist der große Tisch in der Mitte. Hier wird alles vorbereitet und die fertigen Speisen angerichtet.

Bleibt die Frage, was es eigentlich dort zu essen gibt?

Die Antwort ist gar nicht so einfach und gleichzeitig spektakulär!

Es gibt eine kleine Karte, die jeweils am 1. und 3. Wochenende im Monat gilt. Aus ihr können die Gäste von donnerstags bis samstags auswählen. Was hier auf der Speisekarte so lecker klingt, ist es auch! Alles wird frisch und nach Möglichkeit mit regionalen Zutaten zubereitet.

Doch damit nicht genug. Für Gudrun und Andreas ist Kochen mehr als nur ein Handwerk – es ist eine Lebenseinstellung, und wie soll es hier anderes sein? – Eine ganz besondere Lebenseinstellung. So suchen die beiden immer wieder nach neuen Rezepten, wobei „neu“ eigentlich falsch ist. Andreas bringt es auf den Punkt: „In allen Bundesländern wird die besondere Traditionsküche gepflegt, jedoch nicht in Hamburg.“ Stattdessen finden sich in vielen Restaurants Speisen auf der Karte, die dem Namen nach für eine besondere Region stehen, dort aber gar nicht bekannt sind. Mit Hilfe vieler Gewürze wird hier versucht dem Gast eine ferne Küchentradition zu vermitteln, die es so oftmals gar nicht gibt.

Gudrun und ihr Sohn arbeiten diesem Trend seit Neuestem entgegen. Für Andreas stand eines Tages fest, dass er ein Stück von seiner eigenen Kultur zurück haben möchte. Der Norden hat dabei einiges zu bieten. Durch die Seefahrt sind bereits sehr früh die verschiedensten Lebensmittel nach Hamburg gelangt, wie z.B. Spitzkohl. Lachs, Hering und Kalb – heute meist Inbegriff teurer Speisen, war früher arme Leute Essen.

Speisen aus längst vergangenen Zeiten

Auf der Suche nach neuen Rezeptideen sind Gudrun und Andreas so in der Vergangenheit gelandet. Alte Rezeptbücher aus dem 18./19. Jahrhundert sind die theoretische Grundlage. Praktisch werden frisches, vitaminreiches Gemüse der Saison – vornehmlich aus der Region -, und andere qualitativ hochwertige Zutaten verwendet, wobei der Einsatz von Gewürzen auf ein Minimum beschränkt wird, um die natürlichen Geschmäcker zu erhalten.

Mit Speisen aus dem 19. Jahrhundert haben sie eine besondere Küchentradition wieder zum Leben erweckt, die es sonst nirgends gibt.

Immer wenn Andreas neue Dinge ausprobiert, greift Gudrun zum Telefonhörer. Freunde und Stammgäste werden angerufen, und über die neuen Gerichte informiert. So geschah es auch im August. Wir wollten grad zu einem Ausflug mit unserem Besuch aus Chicago starten, als Gudrun anhielt und fragte ob wir nicht abends Speisen aus dem 19. Jahrhundert probieren wollten. – Na klar wollten wir das!

Eine kulinarische Zeitreise

So nahmen wir wenige Stunden später platz an einem schön gedeckten Tisch und begaben uns auf eine kulinarische Zeitreise.

Als Vorspeise wurde uns eine Buttermilchsuppe mit Apfelringen und Mettenden nach einem Rezept aus dem Jahre 1896 angekündigt. Zugegeben, unter normalen Umständen hätte ich in einem Restaurant nie daran gedacht eine Buttermilchsuppe zu bestellen, aber heute wollten wir ja alte Speisen kosten. Dann servierte Gudrun auch schon die hervorragend angerichtete Suppe. Für uns, in der heutigen Zeit, sah sie beinahe auf den ersten Blick etwas exotisch aus – und geschmacklich? Geschmacklich stellte die Suppe all unsere Erwartungen in den Schatten! Die Apfelringe verliehen der Suppe eine herrlich fruchtige Note, und dazu die geräucherten Mettenden – einfach lecker, und eine Kombination an die man heute wohl nicht mehr denken würde. Die Suppe war wahrlich ein Genuss, doch es sollten noch weitere Speisen folgen. Als nächstes wurde eine selbst gemachte Fischfrikadelle aus Kabeljaufilet mit Dill auf Spitzkohl und Senfsauce serviert. Alles perfekt zubereitet und arrangiert. Als Hauptgang wird bei diesem Menü „Schnüsch“, wahlweise mit Katenschinken, Matjes oder einem richtig schön paniertem und gebratenem Kotelett , serviert. (Schnüsch ist hierbei eine Mischung aus frischem Gemüse der Saison, in unserem Fall Kartoffeln, Bohnen, Wurzeln, Erbsen und Kohlrabi in Milch gekocht.)

Als Nachspeise wurde eine Käseplatte mit Rohmilchkäse gereicht. Andreas Gruß hat hierzu in Husum eine alte Privatkäserei entdeckt, die heute noch alte Käsesorten herstellt.

Wir waren begeistert von diesem Feuerwerk der Geschmäcker, und begriffen gleichzeitig eine Schwierigkeit die wohl alle Restaurants kennen. An einem Tisch hinter uns nahmen mehrere Personen platz. Gudrun brachte die Karte und stellte zusätzlich die besonderen Speisen nach den alten Rezepten vor. Während die Frauen am Tisch neugierig die Buttermilchsuppe bestellten, war von einem Mann zu hören: „ne, ich mag keine Buttermilch“ – mit dieser Einstellung wird er nie wissen, was ihm hier an diesem Abend entgangen ist. Aber seien wir mal ehrlich, die meisten von uns bestellen in Restaurants doch in der Regel immer wieder die gleichen Gerichte. Nur die wenigsten haben den Mut auch mal etwas gänzliches Neues zu probieren, was eigentlich schade ist. Ältere Gäste wissen das Aufleben der alten Speisen zu schätzen, und wundern sich warum nicht auch andere schon mal auf diesen Gedanken gekommen sind. Ein Gast, so Gudrun, hat sich jüngst „für diese Erinnerung an die Kindheit“ bei ihnen bedankt.

Gudrun Cronauer und ihr Sohn Andreas Gruß setzten sich anschließend noch zu uns. Während wir begeistert vom Essen schwärmten, ließ uns Andreas seine Begeisterung für das Kochen spüren. Für Andreas ist Essen ein Kulturgut. „Über Geschmack lässt sich streiten, aber wenn etwas schmeckt, dann verbindet das einfach“. Diese Einstellung lebt der Vater von drei Töchtern auch zu Hause. Zusammen mit seinen Kindern zu kochen ist für ihn einfach fantastisch.

Am Ende dieses tollen Abends sitzen wir über vier Stunden im „Mühlenladen & Café“, haben exzellent gespeist und uns wunderbar mit den Gastgebern über Speisen, Kochen, Kultur und ihr Leben unterhalten. Und genau das ist es was Gudrun und Andreas wollen: dass die Gäste zwei, drei Stunden her kommen, hier abschalten und das Leben einfach genießen können.

Jede 1. und 3. Woche jeweils Freitag und Samstag 17 – 21 Uhr kulinarische Zeitreise in die Vergangenheit + alle auf Bestellung außerhalb der Zeit

Öffnungszeiten:

Do. Fr. 14-19 Uhr

Sa. So. 12-19 Uhr

Reservierung & Information:

Tel.: 0172 / 18 18 522

Text: VuM

Fotos: VuM, Arthur Peekel

Dieser Artikel ist erschienen in: Vier- & Marschlande Regionalmagazin Nr. 8 (3/2015)