Das Kirchspiel Ochsenwerder liegt in den Vier- und Marschlanden und besteht aus den Orten Ochsenwerder, Tatenberg, Spadenland und Moorwerder.

Vor der Bedeichung handelte es sich bei dem Gebiet der Vier- und Marschlande um einen aus vielen Inseln bestehenden Sumpf, der den Menschen wenig Lebensraum bot und bei jeder Flut unter Wasser stand.

Bereits 1137 wurde das heutige Ochsenwerder unter dem Namen „Ameneberg“ erstmals urkundlich genannt – das Bistum Verden beabsichtigte die Insel in Kultur zu nehmen. Bald darauf begann die Erstbedeichung. 1244 erscheint erstmals der Name eines Ochsenwerder Pfarrers in der urkundlichen Überlieferung, Rodolfo Plebano de Avenberch, ein Indiz dafür, dass der Ort nun kultiviert war und bereits eine Kirche bestand. Als „Oswerthere“ erscheint Ochsenwerder 1253 urkundlich.

Die erste urkundliche Nennung von Tatenberg als „Tadekenberghe“ stammt aus dem Jahr 1315. Tatenberg war ursprünglich getrennt von Ochsenwerder bedeicht – ein Priel, der „Binnen Rehden“, trennte die Orte voneinander. Die Zusammendeichung erfolgte erst 1630.

Die erste Erwähnung Moorwerders erfolgte 1371. Den Einwohnern Ochsenwerders wurde erlaubt, die Insel zu bedeichen und zu beackern, es durften jedoch keine Häuser gebaut werden. Das gleiche galt für den Inwerder, der als das spätere Spadenland angesehen wird, das unter seinem heutigen Namen erst 1465 urkundlich erschien.

In der Anfangszeit der Besiedelung verursachten Sturmfluten immer wieder starke Schäden und Verwüstungen an den neu eingedeichten Marschgebieten. Für den Grafen von Holstein, damals Landesherr, waren sie immer mit Kosten verbunden, die den Nutzen des Landes überstiegen. So kam es am 23. April 1395 zum Verkauf des Ochsenwerders an die Stadt Hamburg. Im gleichen Jahr erwarb die Stadt auch den Billwerder mit den Orten Billwerder, Allermöhe und Moorfleet und war nun im Besitz des Gebietes, das man heute noch als Marschlande bezeichnet.

Für die Verwaltungsangelegenheiten der Marschlande setzte Hamburg im Jahre 1461 die „Landherrenschaft der Marschlande“ ein, der der neuntälteste Senator als „Landherr“ vorstand. Er hatte die uneingeschränkte Macht über die Landesteile und übte auch die Rechtsprechung in erster Instanz aus.

Nachdem Hamburg in den Besitz des Ochsenwerders und damit auch an die für Hamburg wichtige Elbherrschaft gekommen war, galt es, Land und Fluss zu sichern. So entstand spätestens im 15. Jahrhundert ein „Spieker“ im Bereich des heutigen Gauerter Hauptdeichs, direkt gegenüber der Bunthäuser Spitze. Das Gebäude diente der Stationierung einer Wachmannschaft, der Lagerung des Zehntenkorns, der Überwachung und Sicherung des Stapelrechts und verfügte über Räume für den Landherrn, der hier auch das Gericht abhielt. Anfang des 17. Jahrhunderts verschwand der Spieker aus unbekanntem Grund – möglich ist seine Zerstörung bei einem Deichbruch. Als Ersatz diente ein bewaffnetes Wachtschiff, das im Stromspaltungsgebiet lag. Gerichtsort wurde das Bullenhuser Schleusenhaus.

Was bedeuten die Namen der einzelnen Orte des Kirchspiels Ochsenwerder?

Ochsenwerder bedeutet einfach „Insel auf der Ochsen weiden“. Moorwerder ist die „Moorinsel“. Der Name Tatenberg ist unklar. Möglicherweise hieß der Erstbewohner dieser Insel Tade oder Tadeke. Der Name Spadenlands leitet sich vermutlich aus dem Spatenrecht (s. u.) ab.

Das Deichrecht nahm in Ochsenwerder aufgrund seiner Eigenschaft als Insel eine besondere Rolle ein. Jeder Höfner war in Relation zu seiner Besitzgröße zur Deichunterhaltung verpflichtet. Kein Land ohne Deich, kein Deich ohne Land. Bei jährlich mehrmals stattfindenden Deichschauen, wurde der Zustand der Deiche begutachtet. Wer seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen war, wurde mit Strafen belegt. Äußerstes Zwangsmittel war das „Spatenrecht“. Der säumige Deichanlieger verlor das Recht an seinem Grundstück, indem symbolisch ein Spaten in seinen Deich gesteckt wurde. Wer nicht will deichen muss weichen.

Für die Deichsicherheit waren die Deichvorstände zuständig. Sie bestanden aus dem Deichvogt und den Deichgeschworenen. Letztere wurden in jedem Quartier gewählt. Erst 1942 wurden die einzelnen Deichvorstände aufgelöst und zum Deichverband der Vier- und Marschlande zusammengefasst. Seitdem wachen zehn Deichgeschworene mit je einem Vertreter über ihre Deichabschnitte. Aus ihrer Mitte wählen sie den Deichvogt. Bis zur Flut 1962 hatte der Deichverband die Verantwortung für den Hochwasserschutz. Die Deiche waren bis dahin Privateigentum. Nach der Katastrophe wurde das Hamburger Deichrecht neu geordnet. Der Deichgrund wurde von der Stadt aufgekauft und die Aufgaben des Hochwasserschutzes gingen an den Staat über. Die Arbeit der Deichgeschworenen besteht heute in der Feststellung von Schäden, Teilnahme an den Deichschauen und der Deichverteidigung im Ernstfall.

Kirche St. Pankratius Ochsenwerder

Die erste Erwähnung einer Kirche in Ochsenwerder, vielmehr ihres Pfarrers, stammt wie eingangs erwähnt aus dem Jahre 1244. „Rodolfo plebano de Avenberch“ bezeugte Grundstücksverkäufe des Verdener Domherrn. Im Mai 1254, bat dieser Pfarrer Rudolf (Rodolfus plebanus ecclesie in Avenberge sita in insula Albie que dictur Ossenwerthere) das Verdener Domkapitel, künftig nur noch einmal im Jahr zur Synode in Hittfeld erscheinen zu müssen, da der Weg zu beschwerlich war. Seine Bitte wurde ihm gewährt. Schon diese frühe Kirche Ochsenwerders war dem heiligen Pankratius geweiht, wie aus einem Ablass des Laterans aus dem Jahre 1300 ersichtlich ist.

Ochsenwerder: Kirche St. Pankratius

Ochsenwerder: Kirche St. Pankratius

1332 erteilte das Bistum Verden dem damaligen Landesherrn Graf Adolf VII von Holstein die Genehmigung, die Ochsenwerder Kirche wegen Wassersgefahr an einem anderen Ort wieder aufzubauen. Demnach stand die erste Kirche nicht auf dem heutigen Standort. Wo sie erbaut war, ist nicht überliefert. Man vermutet ihre Lage ungefähr dort, wo heute Schule und Sportplatz zu finden sind. Möglicherweise hatte sie aber auch nur einen anderen Standort auf dem Sandhügel auf dem sie auch heute noch steht. Noch bis 1531 erscheint in einigen Dokumenten eine „alte Kapelle“ in Ochsenwerder, in der vermutlich die erste Kirche Ochsenwerders zu sehen ist.

1332 erfolgte also der Bau der Ochsenwerder Kirche an heutiger Stelle. Über das Aussehen dieser Kirche ist kaum etwas bekannt. Definitiv hatte sie einen freistehenden Glockenturm. 1665 war sie so baufällig, dass ein Neubau unumgänglich war. Zudem war sie für die große Gemeinde zu klein geworden. Für den Neubau wurde über Jahre hinweg im Kirchspiel Geld gesammelt. 1673 konnte er schließlich begonnen werden. Er erfolgte an gleicher Stelle wie der Vorgängerbau und ist mit der heutigen Kirche, einem Ziegelbau auf Feldsteinfundament, noch erhalten. Auch diese Kirche hatte zunächst noch einen freistehenden, hölzernen Glockenturm. Der heutige Turm wurde erst im Jahre 1740/41 von dem Michel-Baumeister Prey, nach Plänen von Cornelius Treu, mit einheimischen Handwerkern gebaut.

Natürlich ist die heutige Kirche von 1674 nicht mehr in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten. Oft waren Reparaturen nötig. Eine umfangreiche Sanierung wurde 1910 unter dem Architekten Julius Faulwasser durchgeführt. Dabei wurden u.a. Fachwerkanbauten, die zu Emporen im Chorraum führten, entfernt und das ursprüngliche Satteldach durch ein Mansarddach ersetzt. Angesichts der Vielzahl erforderlicher Arbeiten wurde damals sogar ein Abriss der Kirche in Betracht gezogen. Weitere Reparaturen und Instandsetzungsarbeiten folgten auch in den nächsten Jahren. Um die Kirche vor weiterem Verfall zu schützen, wurden zwischen 1955 und 1960 schließlich systematische Sicherungsarbeiten durchgeführt. Bis heute werden aber immer wieder kleinere und größere Renovierungen notwendig.

Unsere heutige Kirche enthält noch Inventar aus dem Vorgängerbau, der zweiten Kirche Ochsenwerders, wie z.B. den farbenprächtigen Flügelaltar des „Bildensniders“ Hein Baxmann, aus dem Jahre 1632/33. Das aus Eichenholz geschnitzte Werk war ursprünglich farblos. Die erste Farbgebung erfolgte erst im ausgehenden 17. Jahrhundert.

Auch die Kanzel wird Baxmann zugeschrieben. Über ihre Herstellung und Lieferung sind leider keine Aufzeichnungen überliefert. Sie ist um 1620 entstanden. Ihre zentrale Stütze ist eine Engelsfigur.

Ochsenwerder: Kirche St. Pankratius

Ochsenwerder: Kirche St. Pankratius

Das Juratengestühl stammt ebenfalls aus der Werkstatt Baxmanns. Es wurde von dem Hufner Clawes Kliwer 1633 gestiftet und war ursprünglich ebenfalls ohne farbliche Gestaltung.

Die Kronleuchter stammen aus den Jahren 1613, 1617, 1892 und 1929. Die beiden letzteren sind Nachbildungen der beiden alten Leuchter.

Der Taufstein stammt von 1702 und wurde von einem Tatenberger Hufner gestiftet.

14 alte Grabplatten kann man im Fußboden und an den Wänden sehen. Ihr ursprünglicher Standort sowie die Frage ob diese Gräber in der Kirche waren sind ungeklärt.

Besonders erwähnenswert ist die Orgel aus dem Jahre 1708, ein Werk des berühmten Orgelbaumeisters Arp Schnittger aus Neuenfelde. Mit dieser Orgel ist die Kirchengemeinde Ochsenwerder im Besitz einer der schönsten Orgeln im norddeutschen Raum.

Gegenüber der Kirche befindet sich das Pastorat Ochsenwerders, ein Fachwerkbau aus dem Jahre 1634. Größere Neubauten am Pastorat, vielleicht sogar erst der Bau des heutigen Hauses, datieren auf das Jahr 1742. Bis zu einem Luftangriff am 31. März 1945 (Karfreitag) schloss sich ein reetgedeckter Wirtschaftsteil an den heute noch bestehenden Kopfteil an, der 1946 abgerissen werden musste. Die Kirche mit Pastorat und davor liegendem Pastorenbrack bilden ein malerisches Ensemble und prägen das Bild des Ochsenwerder Dorfkerns.

Fluten

Der größte Feind der Marschlande und somit auch Ochsenwerders war von jeher das Wasser. Seit der Eindeichung gab es immer wieder große Sturmfluten mit Deichbrüchen, von denen heute noch die zahlreichen Bracks zeugen. So entstand das Pastorenbrack mitten in Ochsenwerder durch eine Sturmflut im Jahre 1602. Damals waren Tatenberg und Ochsenwerder noch getrennt voneinander bedeicht und der Ochsenwerder Kirchendeich hatte Wehrcharakter. Nähere Aufzeichnungen über die Folgen der einzelnen Fluten in Ochsenwerder existieren erst seit dem 17. Jahrhundert. Besonders schwere Schäden erlitt das Kirchspiel demnach durch die Fluten in den Jahren 1660, 1661, 1662, 1717, 1756, 1771, 1791, 1792, 1825, 1855 und 1861. Menschen und Vieh ertranken, die Häuser wurden zerstört oder stark beschädigt und die Ernte wurde vernichtet. Oft blieb das Wasser über mehrere Wochen im Land. Es kam zu Nahrungsknappheit und Verschuldungen. Viele Familien mussten ihre Höfe und Katenstellen aufgeben und verließen Ochsenwerder. Bei der großen Flutkatastrophe am 16./17. Februar 1962 konnte die Ochsenwerder Deichlinie mit größter Mühe nur knapp gehalten werden.

Durch den Bau der Reitschleuse 1924 und der Tatenberger Schleuse1952, wurden Dove- und Gose-Elbe tidefrei und die daran anliegenden Deiche verloren ihren Wehrcharakter. Die letzte große Deichbaumaßnahme war der Bau des neuen Hauptdeichs nach der Flut 1962, der den Abbruch diverser Gebäude am alten Elbdeich erforderte und das Bild Ochsenwerders an der Süderseite deutlich veränderte. Diese Deichlinie wird seitdem nach den neuesten Erkenntnissen immer wieder optimiert.

Kriege

Nicht nur unter Fluten hatten die Bewohner Ochsenwerders zu leiden, auch feindliche Truppen drangsalierten die Einwohner immer wieder. Den 30jährigen Krieg von 1618 bis 1648 spürte man in Ochsenwerder kaum, doch 1649 besetzten die Schweden die Gegend und hausten auf den Bauernhöfen. Zur Zeit der „Bürgerlichen Unruhen“ in Hamburg, besetzten die Celler von Januar bis April 1686 die Vierlande, Ochsenwerder, Tatenberg, Spadenland und Bergedorf. Moorwerder war sogar von Januar 1685 bis September 1686 unter Celler Besatzung. Die Bevölkerung hatte stark unter Einquartierungen zu leiden.

Die schlimmste Zeit war jedoch die „Franzosenzeit“ von 1806 bis 1814. In Ochsenwerder, Tatenberg, Spadenland und Moorwerder gab es nicht nur große Zahlen von Einquartierungen, auch das Land wurde völlig ausgebeutet. Zudem waren die Orte in den Jahren 1813/14 direktes Kampfgebiet. Zeitweilig waren mehr als 100 Soldaten in einem Haus einquartiert und mussten von den Einheimischen verpflegt werden. Im Kirchspiel Ochsenwerder herrschte bei Kriegsende unbeschreibliches Elend. Die Bevölkerung war verarmt. Es gab weder Pferde noch Getreide. Deiche, Dämme, Schleusen und Brücken waren stark beschädigt und die Felder versumpft. Viele Bewohner verließen Ochsenwerder – sie hatten nichts mehr zu verlieren.

Im 2. Weltkrieg war das Gebiet Ochsenwerders direkt ins Kriegsgeschehen einbezogen. Bei 22 Luftangriffen, deren Ziel eigentlich das Hafengebiet war, wurde Ochsenwerder getroffen. 40 Menschen kamen dabei ums Leben und große Schäden entstanden.

Landwirtschaft

Grundlage für den Lebensunterhalt in Ochsenwerder war von jeher die Landwirtschaft. Hauptsächlich wurde Getreide angebaut, da Hamburg ein wichtiger Getreidehandelsplatz war. Das Getreide Ochsenwerders war ausschließlich für den Hamburger Markt bestimmt.

Mit der Zunahme der Hamburger Bevölkerung, konnten die Bewohner ihren Bedarf bald nicht mehr innerhalb der Stadtmauern anbauen. So entwickelte sich allmählich der Kohl- und Gemüsebau in den Marschlanden und brachte der Bevölkerung zunehmenden Wohlstand. Per Schiff wurden die Waren in runden Weidenkörben zu den Hamburger Märkten transportiert und dort verkauft. Seit dem 18. Jahrhundert pflanzte man auch feinere Gemüsesorten, Salat und Kräuter für den Hamburger Markt an. In Ochsenwerder stellten zudem die Geflügelzucht und der Milchhandel einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Seit ca. 1750 wurde auch die Kartoffel in großem Stil angebaut. Der Haupterwerbszweig blieb aber der Kohl- und Gemüseanbau, der sich zu hoher Perfektion entwickelte. Nach der Franzosenzeit überflügelte der Gemüsebau den Getreideanbau bei weitem. Fortschritt und Technik setzten ein und Ochsenwerder entwickelte sich zu einem Teil des „Gemüsegarten Hamburgs“. Um 1870 wurden die ersten Tomaten angebaut. Kaum zu glauben, dass sie auf dem Hamburger Markt zunächst gar nicht beliebt waren. Der Blumenkohl aus Moorfleet und Ochsenwerder galt dagegen als bester der Umgebung. 1908 entstanden die ersten Treibhäuser und in den 1930er Jahren begann man in Ochsenwerder auch die Blumenzucht.

Das Bild Ochsenwerders wird noch heute durch seinen landwirtschaftlichen Charakter geprägt. Vorherrschend ist der traditionelle Gemüseanbau, der durch die Blumenzucht ergänzt wurde. Einige Betriebe haben auf Bioproduktion umgestellt.

Die Tracht

Heute ist es nahezu unbekannt, dass es auch in den Marschlanden eine Tracht gab. Neben der schmückenden Vierländer Tracht, ist diese eher schlichte Berufstracht, völlig in Vergessenheit geraten. Das Gebiet in dem man diese Tracht trug, erstreckte sich auf die die Marschlande und Elbinseln zwischen dem Alten Land im Westen und den Vierlanden im Osten. Die Bewohner dieses großen Gebietes trugen auf dem Hamburger Markt alle ähnliche Kleidung.

Die schlichte Tracht der Marschlande passt zum Handel mit Grundnahrungsmitteln. Sie entstand um die Mitte des 18. Jahrhunderts und unterlag der allgemeinen modischen Entwicklung. Zur Zeit ihrer Entstehung lehnte sie sich an die Mode des Barocks an, mit engen Oberteilen, tiefen Ausschnitten, kurzen Röcken und Schoßjacken. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entsprach sie in Rocklänge, Puffärmeln und kleineren Ausschnitten dem Biedermeier. Es war eine Arbeitstracht. Man trug sie auf dem Hamburger Markt – „bi de Woahr“. Die Händler der Marschlande und Elbinseln wurden in den Trachtendarstellungen fast immer mit dem Tragholz – der „Dracht“ – dargestellt. In den Marschlanden wurde sie schon seit dem 16. Jahrhundert benutzt. An der Dracht hingen die runden Weidenkörbe mit der Ware. Die Körbe wurden im Land gefertigt. Für Kartoffeln, Kohl, Erbsen und Bohnen wurden große, flache Körbe verwendet. Salat, Petersilie, Spinat und ähnliches beförderte man in kleineren, hohen Körben.

Festtagstrachten sind aus den Marschlanden nicht bekannt. Grund hierfür ist die Nähe und die Zugehörigkeit zur Stadt Hamburg. Die Marschländer orientierten sich seit jeher an der Mode der Hamburger Bürger, die ihre Landsitze in Billwerder, Moorfleet und Tatenberg hatten und der Bevölkerung dadurch ständig präsent waren. In Ochsenwerder behielt man sich Festtags allerdings eine Eigenart vor – die Haube. Man trug hier eine besonders prächtige Kopfbedeckung, die unter den Volkstrachtenhauben zu den schönsten zählt. Um 1875 verschwanden die Hauben aus dem Gebrauch.

Mühlen

Über Jahrhunderte gab es in den Marschlanden nur eine Kornwindmühle, nämlich die in Ochsenwerder. Sie stand im Außendeichland des Ochsenwerder Norderdeichs, am Ende des heutigen Ochsenwerder Mühlenwegs. In den Hamburger Kämmereirechnungen wurde die Mühle erstmals 1556, damals als ganz „verfallen“ erwähnt. Um 1570 entstand ein Neubau. Seit 1578 bestand ein Erbpachtverhältnis. Die Liste der Pächter ist lang. Am 16. Oktober 1726 brannte die Mühle durch Blitzschlag ab. Sie wurde neu aufgebaut und verkauft. Damals gab es einen Mahlzwang für die Eingesessenen des ganzen Kirchspiels Ochsenwerder. Das heißt Ochsenwerder, Moorwerder, Tatenberg und Spadenland hatten die Pflicht ihr Korn in dieser Mühle mahlen zu lassen. Den Weg zur Mühle musste das ganze Kirchspiel unterhalten. 1834 wurde der Mahlzwang für die Ochsenwerder Mühle abgeschafft. 1920 legte der letzte Ochsenwerder Müller, Nicolaus Fehling, den Mühlenbetrieb still, da die Mühle unrentabel geworden war. 1924 trug man die Mühle ab. Heute erinnert nur noch der Straßenname an das einstige Bauwerk.

Ochsenwerder Feldentwässerungsmühlen an der Ochsenwerder Landscheide

Ochsenwerder Feldentwässerungsmühlen an der Ochsenwerder Landscheide

Verkehr

Noch bis ins 20. Jahrhundert hinein, waren die Wasserwege die wichtigsten Verkehrsverbindungen in den Marschlanden. Über die Flüsse gelangte man per Schiff nach Hamburg oder mit Fähren in die anderen Landesteile. Ein Wegenetz war so gut wie nicht vorhanden. Die Deiche waren unbefestigte Anlagen und mit Fuhrwerken nicht befahrbar. Allerdings gab es befestigte Verbindungswege zwischen den Fähren. Einst gab es elf Fähren im Kirchspiel Ochsenwerder – heute existiert keine mehr. Die größte Fähre war die „Eichbaumfähre“ zwischen Allermöhe und Ochsenwerder, die es schon im Mittelalter gab und deren großer Fährpram vom Hamburger Bauhof unterhalten wurde. Seit alter Zeit bestand auch die „Handfähre“ zwischen Tatenberg und Moorfleet, die der Eichbaumfähre zunehmend Konkurrenz machte. Auch hier konnten Wagen übersetzen. Stark frequentiert wegen ihrer Lage, war eine Personenfähre zwischen Spadenland und Moorwerder, die bis 1962 existierte.

Die erste feste Verbindung zwischen Moorfleet und Tatenberg war die Ständerbrücke, die 1882 dem Verkehr übergeben wurde. Um diese Zeit begann man auch mit dem Ausbau der Wege und der Pflasterung der Deiche. Einen weiteren Ausbau des Verkehrsnetzes sollte der Bau der Marschbahn erzielen. Erste Planungen gab es schon 1902, fertig wurde die Strecke von Moorfleet bis Geesthacht jedoch erst 1928. Im Gebiet des Kirchspiels Ochsenwerder gab es drei Bahnhöfe. Mittlerweile hatte der Kraftfahrtverkehr immer größere Bedeutung erlangt. 1927 hatte man die Ochsenwerder Deiche für den Kraftwagenverkehr freigegeben. Fuhrunternehmen brachten nun die Erzeugnisse direkt zum Hamburger Markt. Da die Marschbahn dort nicht hinfuhr, war das Interesse an ihr bald verloren. 1952 wurde ihr Betrieb endgültig eingestellt. Den Personenverkehr übernahmen Autobusse.

Schulwesen

Die Zeit der Reformation wird in der Hamburger Marsch im Allgemeinen als Gründungszeit des Schulwesens angesehen. Der Unterricht beschränkte sich zunächst auf die Katechismuslehre und das Singen geistlicher Lieder. Die Aufgaben des Lehrers übernahmen die Küster, jedoch nur als Nebenamt. Zudem war der Unterricht für die Kinder freiwillig, das Schulwesen demzufolge äußerst dürftig. Nach dem 30jährigen Krieg entstanden die ersten Nebenschulen. Religion und Lesen waren die Grundfächer. Zusätzlich konnte man noch Schreiben oder Rechnen lernen. Die Höhe des Schulgeldes richtete sich nach der Anzahl der Fächer. 1703 führte der Hamburger Rat die erste Schulpflicht ein. Den Eltern wurde nahegelegt, ihre Kinder in die Schule zu schicken. Schulgeld war auch zu zahlen wenn ein Kind nicht in der Schule erschien. Seit 1752 mussten sich Lehrer und Schüler zum Examen in der Kirche vor der versammelten Gemeinde stellen. Seit 1789 bestand Schulpflicht bis zum 14. Lebensjahr. So wurde das Schulwesen langsam besser. 1879 trat schließlich das Landschulgesetz in Kraft, wodurch Schule und Kirche voneinander getrennt wurden. Die Schulen unterstanden nun der Gemeinde und die Lehrer erhielten ein festes Gehalt. Seit 1933 ist die Schulbehörde für die Schulen zuständig.

1736 gab es in Ochsenwerder neben der Küsterschule sieben Distriktschulen. Sie befanden sich in Tatenberg, Spadenland, Moorwerder, am Gauert, am Norderdeich und zwei am Hohendeich. Später fiel eine Hohendeichschule weg. Zu jeder Schule gehörten feste Einzugsbereiche. Diese Schuldistrikte blieben bis zum Bau der Ochsenwerder Zentralschule 1968 erhalten.

Eigene Schulhäuser wurden für die Distriktschulen erst um 1850 errichtet. Bis dahin wurde der Unterricht in den Wohnungen der Lehrer abgehalten. Die Küsterschule stand seit mindestens 1643 dort, wo sich heute das Friedhofsportal befindet. 1908 machte eine Friedhofserweiterung ihre Verlegung an die Graumanntwiete (heute Kindergarten) notwendig.

Gesundheitswesen

Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein, fand man im Landgebiet kaum studierte Ärzte. Man musste sich mit Praktikanten (Studienabbrecher) oder Landchirurgen (mangelhaft ausgebildete, jedoch technisch geschickte Männer) begnügen. Gern verließ man sich auf zweifelhafte, alt überlieferte Heilmittel. Der erste wissenschaftlich gebildete Arzt ließ sich 1808 mit Dr. med. & chir. Heinrich Wilhelm Borchers in Ochsenwerder nieder. Seitdem war immer mindestens eine Arztpraxis in Ochsenwerder vorhanden. Zusätzlich waren auch noch die Landchirurgen tätig. Bei schweren Krankheiten konsultierten die Landbewohner nachweislich auch Ärzte in Hamburg, Bergedorf oder Harburg. Im Laufe der Jahrzehnte entwickelte sich das Gesundheitswesen in den Marschlanden auf einen normalen Standard. Eine Apotheke existiert bereits 1851 in Ochsenwerder. Die Geburtshilfe leisteten ursprünglich weibliche Verwandte oder Nachbarn. Ein Mann durfte nicht anwesend sein, da das die weibliche Ehre verletzt hätte. Erst die hamburgische Kirchenordnung von 1703 schrieb für jeden Ort eine Hebamme vor. Bei der Weitläufigkeit der Landgemeinden reichte aber auch das oft nicht aus. Aus dieser Not lockerten sich wohl die Moralvorstellungen und man ließ auch Männer zur Geburtshilfe zu.

Zahlreiche Seuchen und Epidemien rafften in früheren Zeiten die Menschen dahin. Genaueres über Ochsenwerder weiß man dazu erst seit dem 19. Jahrhundert. 1831/32 wurde Hamburg von einer Cholera-Epidemie getroffen, die 910 Menschenleben forderte. In Ochsenwerder gründete sich nach Bekanntwerden einer möglichen Cholerawelle Anfang September 1831 eine Gesundheitskommission unter Federführung des Pastors, um einem Krankheitsausbruch vorzubeugen. Ein Hospital sollte eingerichtet werden. Der Kätner und Wirt Martin Bostelmann erklärte sich bereit, sein neues, sehr geräumiges Wohnhaus auf dem Eichholzfelde (heute Eichholzfelder Deich 12) für eine jährliche Miete zum Hospital freizugeben. Nach der Zustimmung des Landherrn und der Begutachtung durch einen Arzt, wurde das Gebäude zum Hospital umgebaut. Zwei Räume erhielten je einen Ofen und drei Krankenbetten. Apparate, Medizin, Tragkörbe und andere Notwendigkeiten wurden aus Hamburg angeschafft. Auf Hygiene achtete man nun besonders. Die Vorsorgemaßnahmen haben genützt. In Ochsenwerder gab es 1832 keine einzige Choleraerkrankung. Die schwere Choleraepidemie, die Hamburg 1892 traf und 8.576 Tote forderte, führte in Ochsenwerder erneut zur Einsetzung einer Gesundheitskommission. Für die Erkrankten waren diesmal Baracken aufgestellt worden. Die Dampfschifffahrt auf der Elbe wurde für drei Wochen eingestellt. Diesmal war auch Ochsenwerder betroffen. Hier kam es zu 17 Erkrankungen, davon 11 mit Todesfolge.

Entwässerung

Die Marschlande hatten von jeher mehr Schwierigkeiten mit dem Wasser als die Vierlande. Hier treffen Norder-, Süder-, Dove- und Gose-Elbe aufeinander. Durch den hohen Grundwasserspiegel und die Tieflage stand das Land häufig unter Wasser. Dazu genügten anhaltender Regen oder hohes Oberwasser der Elbe.

Schon zur Zeit der Besiedelung diente der Ent- und Bewässerung ein ausgeklügeltes Grabensystem. 1590 entstanden die ersten mühlenartigen Schöpfwerke, die das Wasser mittels eines kastenförmigen Behälters aus den tiefer gelegenen Sammelgräben in die höher gelegenen Entwässerungsgräben hoben, von wo es über Siele in die Elbe geleitet wurde. 1780 baute man in Reitbrook die erste Entwässerungsmühle mit archimedischer Schnecke. Sie schraubte das Wasser aus den Sammelgräben in die Entwässerungsgräben. Diese Mühlenart setzte sich schnell durch, da sie leistungsfähiger war. Das Prinzip blieb allerdings gleich. Im Kirchspiel Ochsenwerder waren 1880 noch 39 solcher Mühlen in Betrieb. Von den früher so zahlreich vorhandenen Feldentwässerungsmühlen ist heute nur noch eine erhalten. Sie befindet sich im Freilichtmuseum Rieckhaus in Curslack und stammt ursprünglich vom Gehöft Ochsenwerder Norderdeich 140.

Im Allgemeinen war die Leistungsfähigkeit der Entwässerungsmühlen zu gering. Bei Windstille arbeiteten sie nicht und der Wasserstand der Elbe durfte nicht höher als die Lage der Siele sein. Das Bedürfnis nach Verbesserungen wurde immer stärker. 1920 wurde der Bau einer Be- und Entwässerungsanlage für den Bereich Ochsenwerder, Spadenland, Tatenberg, Kirchwerder, Reitbrook, Neuengamme und Krauel beschlossen. Als Vorfluter wählte man die Gose-Elbe, die deshalb den Gezeiten entzogen werden musste. Deshalb baute man 1925 die Reitschleuse. Das Gebiet wurde in vier Entwässerungsbezirke, mit je einem Pumpwerk eingeteilt. Das Ochsenwerder Pumpwerk (Pumpwerk 1) errichtete man am Ochsenwerder Norderdeich 109, direkt bei der Reitschleuse. Es ging im November 1924 in Betrieb.

Vereinsleben in Ochsenwerder

Der Geselligkeit und Kommunikation untereinander dienten früher und dienen noch heute die Vereine und Gastwirtschaften im Landgebiet. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gab es noch zahlreiche Gaststätten im Ochsenwärder, zeitweilig bestanden 25 nebeneinander. Dann setzte allmählich das “Kneipensterben” ein, das bis heute andauert.

Eine sehr große Anzahl der Bewohner des Kirchspiels Ochsenwerder (inkl. Moorwerder) sind Mitglieder in einem oder mehreren der zahlreichen Vereine. Im Kirchspiel Ochsenwerder gibt es über 20 Vereine und Verbände neben zahlreichen Clubs und privaten Zusammenschlüssen in denen sich die Bürger engagieren. Allein fünf Gesangvereine bzw. Chöre und vier Freiwillige Feuerwehren bestehen. Hinzu kommen zwei Schützenvereine, die Landfrauen sowie der Verein „Unser Dorf erhalten (UDe)“ und der SOVD. Und auch in den überörtlichen Vereinen wie SCVM, TOCH oder Junggärtner sind Ochsenwerder Bürger aktiv. Jeder Verein hat seine Feierlichkeiten, wie z.B. Weihnachtsfeiern oder Jubiläen. Das größte Vereinsfest an dem das ganze Kirchspiel teilnimmt ist das Ochsenwerder Schützenfest, das jedes Jahr am dritten Wochenende im August gefeiert wird. Der UDe ist Hauptorganisator des Ochsenwerder Weihnachtsmarktes am ersten Advent (gemeinsam mit den Landfrauen) und des Ochsenwerder Paschenfestes, zwei Wochen vor Ostern (gemeinsam mit der Ochsenwerder Schützengemeinschaft, der Kirchengemeinde und der Kita). Das zeigt, wie sehr noch heute das Kulturleben Ochsenwerders von den Vereinen bestimmt wird – die meisten öffentlichen Feste und Veranstaltungen gehen auf sie zurück.

Viele der aktiven Vereine können auf eine lange Tradition zurückblicken. Vereine und Verbände im heutigen Sinne gibt es erst seit der Gründung des Deutschen Reichs 1871. Nationalbewusstsein und Zusammengehörigkeitsgefühl prägten Geist und Kultur dieser Zeit und gleichgesinnte Menschen schlossen sich zusammen. Bis dahin vereinten sich die Menschen nur in Gilden und Feuerkassen um sich selbst und ihr Hab und Gut zu schützen. Der Gesangverein Germania von 1872 Ochsenwerder ist der älteste Verein des Kirchspiels. Die Freiwillige Feuerwehr Spadenland ist die älteste Freiwillige Feuerwehr der Marschlande. Anlass ihrer Gründung 1893 war ein Großfeuer zuvor.

Alle Ochsenwerder Vereine gemeinsam bilden den “Heimatring Ochsenwerder” als Dachorganisation, gegründet 1954. Er tagt jeden ersten Montag im Mai und im November und ist offen für alle Interessierten Bürger. Hier wurden und werden viele problematische Themen und Sachverhalte, über parteipolitische Interessen hinweg, behandelt und abgestimmt und nach außen vertreten.

Derzeit wird in Ochsenwerder die Erweiterung der Windenergieflächen mit den daraus resultierenden Belastungen für die Bevölkerung thematisiert. Ein weiteres aktuelles Schwerpunktthema ist die Zukunft Ochsenwerders. Eigens hierfür hat das Bezirksamt Bergedorf eine „Stadtwerkstatt“ ins Leben gerufen, die mit Bürgern, Vereinen und Initiativen vor Ort die Perspektiven für Wohnungsbau, Kultur, Natur und Landwirtschaft in Ochsenwerder diskutiert. So sollen die Vorstellungen und Ideen der Bürger in den Planungsprozess einfließen.

Text: Simone Vollstädt

Fotos: Simone Vollstädt (historisch)

Fotos: VuM-Redaktion (aktuell)

Dieser Artikel ist erschienen in: Vier- & Marschlande Regionalmagazin Nr. 3 (1/2014) Bestellen Sie das Magazin nach, um den Artikel mit allen Bildern lesen zu können!