Ein nahezu idyllischer Anblick bietet sich den Radlern, Spaziergängern und Durchreisenden wenn sie entlang unserer Deiche ihre Freizeit genießen oder auch beruflich unterwegs sind. Denn in der Zeit vom 1. April bis zum 30. September zuzüglich einer Vegetationsabhängigen Toleranz, befinden sich entlang des Deiches viele Schafe, zum Teil auch mit ihren Lämmern.
Dieses friedliche und harmonische Bild gefällt nicht nur unseren Kindern sondern sicherlich auch den Erwachsenen.
Das Thema Schafe in den Vier- und Marschlanden fügt sich wunderbar in die Charakteristik unsere Region ein, in der es nicht nur Blumen, Gemüse und vieles andere gibt, sondern auch Schafe als Nutztiere.
Stellen wir uns einmal folgendes vor. Es wird eine Strecke entlang der Elbe vom Tatenberger Deich (dort in der Nähe finden Sie das Fährhaus Tatenberg und ein wenig weiter den Hofladen Stender) bis zum Kreisel in Altengamme (Gaststätte Schween) zurückgelegt.
Das sind in etwa 28,5 Kilometer, immer entlang des Deiches. Mit dem Auto benötigt man ca. 30 Minuten. Mit dem Fahrrad ca. 1,25 Stunden.Würde man diese Strecke zu Fuß gehen bräuchten wir ca. 6 Stunden.
An diesen ausgewählten Beispielen sehen wir die natürlichen Relationen und können uns besser vorstellen womit wir es hier zu tun haben.
Nur diese eine ausgewählte Deichstrecke ist für unsere Region im Grunde die wichtigste. Jetzt werden sich wahrscheinlich sehr viele Leser fragen was das nun mit unseren Schafen zu tun hat. In diesem Fall ist die Frage durchaus berechtigt denn die Schafe auf den Deichstrecken sind sehr wichtig für die Deichsicherheit.
Aber bevor wir zu dieser wichtigen Antwort kommen, erhalten sie zunächst einige wichtige Informationen zu Volker Derbisz, unserem Schäfer:
Volker Derbisz stammt ursprünglich aus Kaiserslautern / Rheinland-Pfalz. Im Jahr 2007 hat er sich auf eine Ausschreibung beworben die genau dieses Thema abdecken sollte und für unsere Region zutraf. Nachdem er den Zuschlag bekommen hatte, konnte er Anfang 2008 den Standort am Neuengammer Hauptdeich beziehen, nachdem ein Vertrag mit der Stadt Hamburg zustande kam.
Schafzucht
Von Beginn an betreibt Derbisz die sogenannte Herdbuchzucht. Darunter verstehen wir im Grundsätzlichen, dass der Züchter einem anerkannten Zuchtverband angehört und in Folge beglaubigte Abstammungsnachweise für seine Tiere vorweisen kann. Die Abstammung, die lückenlos nachgewiesen werden muss, wird vom Verband überprüft und sichert die geforderten Eigenschaften der Tiere. Hier gilt der Grundsatz: je klarer und lückenloser die Herkunft der Schafe ist, umso ausgeprägter sind die geforderten Rasseeigentümlichkeiten, je nach Rasse und Lebensumfeld. Auf diese Weise entsteht beim Verband ein lückenloses Verzeichnis aller Tiere, deren Züchter in diesem Verband Mitglied sind. Die Kennzeichnung der Tiere, wie es sehr oft zu sehen ist, verweist auf die kontrollierte Zucht. Dadurch ist es möglich die Zuchtböcke in Auktionen anzubieten, da sie einen lückenlosen Zuchtnachweis besitzen, was wiederum für weitere Züchtungen wichtig ist.
Das Züchten mit einem Nachweis (auch Zuchtbuch genannt) stammt in etwa aus der Zeit 2. Jahrtausend v. Christus. Wenn Sie jetzt viele Schafe auf den Deichen sehen, haben Sie auf jeden Fall ein Grundwissen zum Thema und können sich bei Bedarf weiter Erkundigen.
Ein Blick in die Stallungen am Neuengammer Hauptdeich zeigt dem interessierten Menschen auf den ersten Blick, dass es sich hier nur um einen zertifizierten Züchter handeln kann. Die Stallungen sind sämtlich immer mit frischem Stroh gestreut, geräumig und winterfest. An den Seiten befinden sich Fensterreihen für viel Licht. Die Belüftung kann zusätzlich durch Tore an jeder Giebelseite unterstützt werden. Für eine ständige Betreuung sorgt hierbei der Schäfer quasi rund um die Uhr.
Deich- und Landschaftspflege /Hochwasserschutz
Was haben unsere Schafe damit zu tun? Über eines sind sich alle Einig, der Erhalt und die Pflege der Deiche ist eine Hoheitsaufgabe für alle. Der Hochwasserschutz hängt im Wesentlichen von der Sicherheit und dem Zustand unserer Deiche ab, zumal in den meisten Fällen unsere Gehöfte, Betriebe und Wohnanlagen von jeher nahezu direkt hinterm Deich angesiedelt sind.
Am 22.10.2014 zum Beispiel sorgte das Sturmtief Gonzalo für eine vollständige Überflutung des Fähranlegers am Zollenspieker. Hierbei erinnern sich sicherlich viele Vier- und Marschländer an den Februar 1962 wo insgesamt ca. 61 Deiche brachen. Die Bergedorfer Zeitung veröffentlichte hierzu im Januar 2012 ausführliche Berichte. Dieses Ereignis liegt nun 53 Jahre zurück und wird niemals vergessen werden. Hier wird alles getan um die Deichsicherheit zu gewährleisten. Aus diesem Grund gibt es in Hamburg Katastrophenschutzstäbe die tätig werden wenn mit einem Wasserstand von + 5,00 Meter über NN zu rechnen ist. In niedrig gelegeneren Gebieten werden die Behörden bereits tätig wenn ein Wasserstand von 3,50 Meter über NN vorhergesagt wird.
Deichschafe im Einsatz
Wie sich das für Sie wohl anhört? Aber es hat durchaus, im wahrsten Sinne des Wortes, eine ganz wichtige Bedeutung. Schäfer Derbisz sorgt tatsächlich mit seinen vielen Schafen für die Deichsicherheit. Und jetzt folgt die Antwort auf die Anfangs gestellte Frage: Was die Deichsicherheit mit den Schafen zu tun hat.
Die Deiche bestehen aus mehreren Schichten.
Bei uns in der Region besteht die oberste Schicht auf der Wasserseite häufig aus Betonformsteinen, während die landwärts gerichtete Seite und die Deichkrone mit einer Grasnarbe versehen ist. Hierbei hat sich schon seit Jahrhunderten die Bewirtschaftung mit Schafen bewährt. Wir sehen auch die Wirtschaftlichkeit und die nahezu natürliche Deichpflege. Es lohnt sich auf jeden Fall Schafe einzusetzen weil der Mensch von den Schafen auch etwas zurückbekommt.Wir denken hierbei insbesondere an die Schafwolle!
Das Einsetzen unserer Deichschafe hängt damit zusammen, dass sie das Gras sehr tief abrupfen und dadurch die Grasnarbe sehr kurz gehalten wird.Dieses Kurzhalten wiederum sorgt für eine starke Bestockung des Deiches und erzeugt eine dichte Grasnarbe. Hiermit steigt die Erosionsbeständigkeit der Deichoberfläche um ein vielfaches und wird auf diese Weise beständiger. Die Grasnarbe wird so immer wieder verdichtet und ist weniger anfällig auf äußere Einflüsse. Ein nächstes Problem sind auch die Tiere welche sich unterhalb der Deichoberfläche im Inneren ansiedeln, wie zum Beispiel Maulwürfe oder Wühlmäuse. Diese Artgenossen können durch ihr Tun die Festigkeit immer wieder auflockern.
Unsere Schafe hingegen sorgen zusätzlich durch ihren beständigen Tritt (auch Trippeltritt genannt) über die Grasnarbe dafür, dass der Boden immer wieder verfestigt wird, und die entstandenen Lockerungen durch die eben erwähnten Tierarten, wieder zutreten.
Im Falle von akutem Hochwasser wird den ankommenden Fluten so weniger Angriffsfläche geboten. Den Skeptikern sei hierzu gesagt, dass die Maulwürfe und Wühlmäuse auf ganz natürliche Art mit Sicherheit ein neues Zuhause finden werden. Vergleichen wir die Arbeit mit den Schafen am Deich mit dem Einsatz von Technik zur ständigen Verdichtung der Oberflächen.
Landläufig wird hierzu gesagt, dass die Schafe in etwa die Arbeit einer schweren Walze verrichten, die mit etwa 3.000 kg je Meter Arbeitsbreite auf den Boden einwirkt. Diesen Effekt welchen wir kurz beschrieben haben, erzeugen unsere Schafe am Neuengammer Hauptdeich. Es hat sich ebenso erwiesen, dass es von Vorteil ist, wenn die Schäfer ganz eng mit den Hamburger Behörden zusammenarbeiten. Bei uns in der Region ist das durch Volker Derbisz auf jeden Fall gegeben.
Landschaftsschutz im Raum Hamburg-Bergedorf
Nicht nur die Deiche zählen zum Einsatzgebiet unseres Schäfers, sondern er kümmert sich mit seiner Herde auch um den Landschaftsschutz im Raum Hamburg-Bergedorf. Wer zum richtigen Zeitpunkt einen gemütlichen Spaziergang oder auch einen Rad-Ausflug in das Naturschutzgebiet Boberger Niederung unternimmt, findet auch hier die Herde von Volker Derbisz.
Das etwa 350 Hektar große Gebiet ist im Jahre 1991 unter Naturschutz gestellt worden, und bietet neben dem allseits bekannten Segelflugplatz noch allerlei andere Naturschauspiele wie die Boberger Düne und das Achtermoor. Die Hamburger kennen dieses herrliche Stück Natur, trifft man doch viele, viele Menschen aus nah und fern genau dort. Der NDR Ratgeber hat dazu sehr viele Informationen bereitgestellt. So findet der Interessierte einen Bericht vom 09.09.2014 – Lesezeit auf der Website vom NDR. (Suchbegriff: Landschaftspflege Schafe Boberger Dünen)
Fahren sie den Billwerder Billdeich entlang bis zum Abzweig Boberger Furt und biegen dort ein, dann erreichen sie den Parkplatz Boberger Düne. Ganz in der Nähe befindet sich der allseits bekannte Segelflugplatz. Rechts und links vom Parkplatz finden Sie das Areal welches schon von Natur aus sehr interessant ist. In dieser Gegend, mit etwas Glück, finden sie dann unsere Vierländer Schafe beim Grasen. Auch hier ist der Einsatz von Schafen ähnlich gelagert. Sie sorgen auch hier für die Erhaltung und ständigen Verdichtung der Grasnarben. Zudem erzeugen die Schafe ein sich ständiges ausbreiten der natürlichen Grasnarben weil ansonsten der Charakter dieser Gegend irgendwann verloren gehen würde. Es breiten sich dann Büsche, Bäume und der gleichen aus. Die Heide und auch die Trockengrasflächen gingen somit verloren. Die angrenzenden natürlichen Biotope mit einer einzigartigen Pflanzenvielfalt wären davon sicherlich betroffen.
Innerhalb eines Vor-Ort-Termins bei Volker Derbisz, auf seinem Gelände, bekamen wir sehr viele und hilfreiche Informationen. Ein besonderes Erlebnis waren nicht nur die Schafe sondern auch die Rinder auf seinem Hof. Alles ist sauber, artgerecht und sehr gepflegt! Wir konnten sogar einen schon ziemlich stattlichen Bullen berühren. Er ist erst 2 Jahre alt, machte aber auf uns einen respektvollen Eindruck – da war Kraft pur spürbar!
Herzlichen Dank Volker Derbisz!
Text: VuM
Fotos: VuM
Dieser Artikel ist erschienen in: Vier- & Marschlande Regionalmagazin Nr. 6 (1/2015)
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