Zusammen mit den Kindern verbringe ich die Frühjahrsferien bei meiner Schwester in Oklahoma, USA. Wir genießen das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, verfolgen aber gleichzeitig auch die Entwicklungen in Deutschland. Am letzten Ferientag, Freitag 13.03., verkündet der Hamburger Senat: „Hamburger Schulen verlängern für Schülerinnen und Schüler die Ferien um zwei Wochen“.
Zurück in Deutschland beginnt eine merkwürdige Zeit mit sich beinahe stündlich verschärfenden Maßnahmen zur Eindämmung des Corona Virus. Deutschland kommt immer mehr zum Stillstand. Statt Ferienverlängerung bekommen die Kinder schon ab dem ersten Tag Aufgaben per E-Mail oder über Schulplattformen wie iserv oder eduport (je nachdem womit und wie die Schulen arbeiten). Anfangs ist das noch etwas chaotisch: da werden Schulbuchseiten einzeln als Bilddatei eingescannt aber die Lehrkräfte optimieren die Prozesse schnell und es kommen mehrseitige PDF-Dateien. Anfangs betrifft das (zumindest an den Schulen meiner Kinder) nur die Hauptfächer. Sollte das nicht eine Verlängerung der Ferien sein? Aber wir Eltern machen munter mit.
Ein zentrales Krisenmanagement seitens der Bundesregierung gibt es nicht. Jedes Bundesland macht was es will oder für richtig hält. Die erste „Ferienverlängerungswoche“ ist nicht mal um, da verkündet der Hamburger Senat bereits eine weitere Verlängerung bis zum 19. April. Man folgt damit den Anweisungen anderer Bundesländer. Von Ferienverlängerung ist jetzt nicht mehr die Rede, sondern nur noch von Schulschließungen. Um und bei diesem Zeitpunkt folgen auch die Nebenfächer. Da werden in Kunst mehrseitige Aufgaben (natürlich mit jeder Menge farbiger Bilder) als PDF-Datei zum Ausdrucken bereitgestellt. Natürlich dürfen auch Fächer wie Musik und Religion nicht fehlen. Ständig trudeln E-Mails ein. Dazu Hinweise auf immer mehr online Lernplattformen für die auch gleich die Zugangsdaten für die Kinder mitgeschickt werden. Mathepirat, kapiert.de und wie sie noch alle heißen – ich verliere den Überblick und weiß nicht mehr was zur Beschäftigung, als Ergänzung, als „nice to have“ oder als Anforderung gedacht ist. Einige Lehrkräfte wollen auch Videokonferenzen als Unterrichtsmittel anwenden. Mich macht diese Schulsituation nur noch wütend und jeden Tag wütender!
Mir ist Bildung wichtig!
Daher bin ich mit Einschulung meiner Tochter, in die Vorschule vor sechs Jahren, in den Elternrat gegangen. Fünf Jahre war ich Vorsitzender des Elternrates und Mitglied der Schulkonferenz an einer Hamburger Grund- und Stadtteilschule. Ich erinnere mich noch an eine Grundschulsitzung wo ich mal fragte warum wir in der heutigen Zeit eigentlich keinen EDV Raum und grundlegenden Informatikunterricht in Grundschulen haben. – Jetzt hätte sich das so ausgezahlt… .
Doch warum macht mich die Schulsituation wütend, wenn doch der Materialfluss so gut läuft?
Ganz wichtig festzuhalten: Ich bin NICHT wütend auf die Lehrkräfte! Niemand war auf die gegenwärtige Situation vorbereitet. Die Lehrkräfte versuchen alles Mögliche um ihren Job bestmöglich zu machen und haben selber auch mit der Situation zu kämpfen.
Wütend macht mich was die Schulbehörde sich dabei denkt und was in dieser schweren Zeit von uns Eltern UND Kindern erwartet wird.
Vielleicht fehlt den Beamten in den Behörden, die ein sicheres Gehalt vom Staat beziehen und wo es nicht so drauf ankommt, wenn mal etwas länger dauert, das Verständnis und nötige Feeling für die Situation im Land.
Die Realität ist derzeit: Ganze Branchen stehen komplett still. Millionen von Menschen sind in Kurzarbeit geschickt. Millionen von Menschen müssen zu Hause im Homeoffice arbeiten. Menschen werden Arbeitslos und sehr viele kämpfen um die bloße Existenz in Zeiten des Coronashutdowns.
Ich selbst kann von zu Hause arbeiten, doch sehr viele Kunden sind vom Shutdown betroffen. Das bereitet mir Sorgen und ich will helfen. Habe mit meinem kleinen Magazin verschiedene Aktionen deshalb gestartet. Doch dann auch noch Home-Schooling mit den Kindern? Meine Kinder besuchen die 3. und 5. Klasse. Auf dem Gymnasium weht ein anderer Wind als auf der Grundschule. Meine Kinder sind clever und problemlos und doch fühle ich mich damit überfordert. Es ist Montag, wir stehen auf, machen uns fertig, frühstücken. Ich fahre kurz einkaufen und erledige drei Telefonate während die Kinder mit den Schulsachen beginnen. Die ersten Fragen kommen. Die Matheaufgabe in der dritten Klasse soll wohl die Kinder zum Nachdenken anregen – doch man könnte genauso gut sagen das es keine Aufgabe ist, denn eine konkrete Aufgabenstellung fehlt. Als Erwachsener würde ich in der aktuellen Situation sagen: „Wenn da zu dem Text keine Aufgabenstellung und Frage steht – dann machst da einfach auch nichts.“ Doch mein Sohn möchte wissen was er machen soll, und er möchte es nicht falsch machen. Tränen der Verzweiflung. Wir klären das und die Zeit vergeht. Ich entscheide mich das es keinen Sinn macht mit der Arbeit anzufangen solange die Kinder die Schulsachen bearbeiten. Fragen, kontrollieren UND auch selber erst mal in die Materie einarbeiten was die Kinder grad überhaupt bearbeiten, kostet Zeit und unterbricht jeden Arbeitsgedanken. Gegen 14 Uhr bin ich mit beiden Kindern fertig, koche Mittagessen und gegen 14:45 Uhr könnte ich theoretisch anfangen zu arbeiten… .
…Kann ich aber nicht! Ich bin innerlich so aufgewühlt und so wütend über diese Schulsituation. Ich muss arbeiten, werde nicht nur durch die Coronakrise gebremst sondern auch noch zusätzlich durch die Schule. Wie kann die Schulbehörde von uns Eltern verlangen jetzt jeden Tag Ersatzlehrer zu Hause zu spielen, während wir im Homeoffice arbeiten müssen und in Anbetracht der Situation sehr viele von uns grad ganz andere Gedanken und Sorgen haben???
Ähnliches gilt im Übrigen auch grad für die Kinder, die sich nicht mehr mit Freunden verabreden dürfen, die nicht auf den Spielplatz dürfen, die nicht mit zum Einkaufen sollen, die nicht zum Sportverein, ja nicht mal zu Oma und Opa dürfen. Kinder die mitbekommen in welcher Situation wir grad sind und das viele Mamas und Papas grad nicht nur überfordert, sondern auch berechtigte Existenzängste haben.
Wie soll das flächendenkend funktionieren? Wie soll die Chancengleichheit des Schulsystems in dieser Situation bewahrt werden? Meine Kinder haben zwar alle technischen Voraussetzungen, befürchte aber (der „tolle“, flächendeckende Ausbau der Internetanbindungen in Deutschland lässt grüßen) Probleme wenn ich hier auf dem Hamburger Land online arbeiten muss und beide Kinder eine Videokonferenz mit den Klassen haben…(bei mir ist derzeit nur DSL 16.000 mit 1Mbit/s Upload möglich).
Doch was machen andere? Was machen die Familien wo es nur einen Computer, dafür aber vier Kinder unterschiedlichen Alters gibt? Was machen die, die keinen Drucker haben oder sich dank Kurzarbeit oder Verdienstausfällen keine neuen Tintenpatronen mehr leisten können?
Fünf Jahre Elternratsarbeit sind nicht spurlos an mir vorüber gegangen. Alle Menschen mit denen ich zurzeit spreche (und das sind einige) frage ich wie die Situation ist. Fast überall höre ich dasselbe: Materialfluss klappt, ABER… .
Auf der anderen Seite ist es erschreckend wie wenige Eltern ihrem Unmut Luft machen. Man fragt in der Klasse und von 23 Eltern antworten drei. Da ist er wieder: Der brave deutsche Michel. Wir haben Landunter aber statt auf die Barrikaden zu gehen opfern sich alle auf und sagen nichts.
Vier Tage nach einer Mail an einen Kunden bekomme ich darauf eine Antwort. Mit fällt dazu noch was ein und ich rufe die Mitarbeiterin an. Im Hintergrund Kindergeschrei: „ich kann grad nicht, melde mich heute Mittag“, bekomme ich als kurze Antwort. Irgendwoher kenne ich das. Das war Freitag, bis heute ist noch keine Antwort da – der ganz normale Wahnsinn in Zeiten von Homeoffice und Home-Schooling.
Auf keinen Fall hinnehmen!
Ich persönlich würde streiken, wenn ich wüsste das es für meine Kinder nicht zum Nachteil ist. Würde das nicht mehr länger hinnehmen und schon gar nicht akzeptieren das Kindern Fristen zur Abgabe von Aufgaben gesetzt werden, das Kinder Lösungen auf Plattformen hochladen sollen wo die Verzeichnisse von allen der Klasse einsehbar sind und auf gar keinen Fall würde ich eine Benotung von Erzeugnissen aus dieser Zeit akzeptieren. Einer Zeit wo es keine Chancengleichheit für alle Schüler gibt und wo nicht kontrolliert werden kann ob die Aufgaben von den Schülern, älteren Geschwistern oder Eltern gelöst wurden.
Es kann so nicht weitergehen!
Ach ja: Sicherlich kann man noch nicht sagen wie lange die Schulschließungen hierzulande noch anhalten werden. Das aber nach dem 19. April alles seinen gewohnten Gang wieder geht glaube ich nicht! Übrigens: Bei meiner Schwester in Oklahoma wurde letzte Woche bekanntgegeben, dass die Schulen bis nach den Sommerferien im August geschlossen bleiben…
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